Kriterien für Vorausverzicht bei Vermögensverwaltung - Liti-Link AG
von Liti-Link AG / 11.08.2024

Kriterien für einen Vorausverzicht bei Vermögens-verwaltungsmandaten

Retrozessionen Vorausverzicht auf Retrozessionen bei Vermögensverwaltungsmandaten

Kriterien für einen Vorausverzicht bei Vermögensverwaltungsmandaten

Die der Liti-Link vorliegenden Offenlegungen zeigen, dass der überwiegende Teil der Schweizer Banken und Vermögensverwalter weiterhin uneingeschränkt Retrozessionen vereinnahmen. Obwohl die Verzichtserklärungen in den relevanten Vertragsunterlagen seitens der Finanzinstitute regelmässig angepasst werden, setzt kein uns bekanntes Institut die vom Bundesgericht festgesetzten Kriterien für einen gültigen Vorausverzicht um.

Fakt ist: Vermögensverwaltungskunden können bis heute in den allermeisten Fällen bei Vertragsunterzeichnung bzw. vor dem Kauf von Finanzprodukten weder den Umfang der zu erwartenden Retrozessionen erfassen noch werden die konkreten Anreizstrukturen vorhandener Interessenkonflikte aufgezeigt.

Vermögensverwaltungsverträge sind rechtlich dem Auftragsrecht zuzuordnen. Art. 400 OR besagt, dass ein Auftragnehmer (i.S.v. Bank oder Vermögensverwalter) jederzeit über seine Geschäftsführung Rechenschaft abzulegen und alles, was ihm infolge derselben aus irgendeinem Grunde zugekommen ist, zu erstatten hat. Art. 400 OR ist jedoch nicht zwingend. Dies bedeutet, dass auf dieses Recht verzichtet werden kann. Ein solcher Verzicht bedingt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung folgende drei kumulativ zu erfüllende Voraussetzungen:

  1. Der Verzichtswille des Auftraggebers muss aus einer Vereinbarung deutlich hervorgehen.
  2. Die Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten müssen dem Auftraggeber bekannt sein.
  3. Die Grössenordnung der zu erwartenden Retrozessionen muss dem Auftraggeber mittels einer Prozentbandbreite des verwalteten Vermögens angegeben werden.

 

Zu 1. Verzichtswille:

Das Kriterium des Verzichtswillens setzt eine vollständige und wahrheitsgetreue Aufklärung seitens dem Finanzdienstleister voraus. Irreführende Formulierungen wie z.B. „Der Kunde erklärt hiermit ausdrücklich, zu akzeptieren…" oder „Retrozessionen stehen ausschliesslich der Bank zu“ vermitteln den Anlegern hingegen den Eindruck, dass die Anleger lediglich bestätigen, was von Gesetzes wegen sowieso gelten würde. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, da der Kunde von Gesetzes wegen über einen Herausgabeanspruch gemäss Art. 400 Abs. 1 OR verfügt.

Da eine Verzichtserklärung ein rechtsaufhebendes Gestaltungsrecht darstellt, bedarf es einer klaren und eindeutigen Erklärung, weshalb bei rechtsgültigen Verzichtsklauseln das Verb "verzichten" oder eine sinngleiche Formulierung zur Anwendung kommen sollte. Nur eine solche entspricht den Vorgaben der Rechtsprechung.

Die Erfahrungen von Liti-Link zeigen, dass die seitens der Banken und Vermögensverwalter vorformulierten Textpassagen für deren Kunden unverständlich sind, weshalb die Prüfung der entsprechenden Passagen auf deren Rechtsgültigkeit durch die Kunden massiv erschwert wird.

Es gilt festzuhalten, dass die Verzichtsklauseln einzelner Finanzdienstleister den bundesgerichtlichen Kriterien entsprechen, wobei der Vorausverzicht nur Gültigkeit hat, sofern die beiden anderen Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind.

 

Zu 2. Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten:

Die Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten sind die in einer Prozentzahl konkret ausgedrückten Werte, die Banken oder Vermögensverwalter von Dritten pro Produkt erhalten (z.B. Produkt: Swisscanto BF Sustainable: CHF Retrozessionen i.H. von 0,31% des Anlagebetrags p.a.). Dieses vom Bundesgericht festgeschriebene Kriterium ist erforderlich, um die konkreten Anreizstrukturen vorhandener Interessenskonflikte zu erkennen. Bereits im ersten Retrourteil (4C.432/2005 vom 22. März 2006) hielt das Bundesgericht fest, dass Vermögensverwaltungskunden über die „konkreten Vereinbarungen“ zu informieren sind. In den weiteren Urteilen des Bundesgerichts sprach das Bundesgericht sodann von den „Eckwerten der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten“.

Obwohl es einfach scheint, werden die Eckwerte bis heute (18 Jahre nach dem ersten Retrourteil) nicht offengelegt, stattdessen haben die Banken und Vermögensverwalter Produktbandbreiten ins Leben gerufen, die seitens des Bundesgerichts jedoch bis heute nie gefordert waren. Diese Produktbandbreiten stellen jedoch nur die minimalen, wie maximalen Eckwerte dar (z.B. Produktkategorie: Alternative Anlagen: 0 – 2,5% des Investitionsvolumen p.a.). Ein konkreter Interessenkonflikt kann anhand dieser Produktbandbreiten jedenfalls nicht erkannt werden.

Warum die Eckwerte nicht offengelegt werden, ist für Liti-Link nicht nachvollziehbar. Diese könnten zum Beispiel einfach auf der Homepage der Bank veröffentlicht und somit jederzeit vom Auftraggeber abgerufen werden. Der dem Auftragnehmer dadurch entstehende administrative Aufwand ist aufgrund der sich nur sporadisch ändernden Eckwerte ohne weiteres zumutbar und steht im Vergleich zu der Publikation von Börsenechtzeitdaten in keinem Verhältnis.

 

Zu 3. Grössenordnung der zu erwartenden Retrozessionen:

Nun zum letzten Kriterium für einen gültigen Vorausverzicht bei Vermögensverwaltungsmandaten, nämlich die Angabe der Grössenordnung der zu erwartenden Retrozessionen, welcher Genüge getan wird, wenn diese in einer Prozentbandbreite des verwalteten Vermögens angegeben wird (z.B. 0,1% bis 0,5% p.a. des verwalteten Vermögens). Diese Angabe ist erforderlich, um den Umfang der zu erwartenden Retrozessionen zu erfassen und dem vereinbarten Vermögensverwaltungshonorar gegenüberstellen zu können. Da sich nämlich der Gesamtbetrag des verwalteten Vermögens laufend verändert und die genaue Anzahl bzw. der Umfang der durchzuführenden Transaktionen im Zeitpunkt des Vorausverzichts unbekannt sind, kann der Vermögensverwaltungskunde, selbst wenn diesem die Eckwerte bekannt sind und somit die konkreten Interessenkonflikte offengelegt werden, den Umfang der zu erwartenden Retrozessionen nicht abschätzen. Dies deshalb, weil ein Dritter für die Verwaltung des Vermögens verantwortlich ist.

Mit der Einführung der Bandbreite des verwalteten Vermögens schafft es das Bundesgericht mit dem Urteil vom 29.08.2011 das Transaktionsvolumen und die Anzahl von Transaktionen zu begrenzen. Ohne eine solche Bandbreite, wäre der Anleger trotz Kenntnis der Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten (bspw. 33,3% Rückvergütung auf Courtagen) auf Gedeih und Verderb dem Vermögensverwalter ausgeliefert (bspw. Churning) und müsste auf die getreue und sorgfältige Ausführung des an den Vermögensverwalter übertragenen Geschäftes vertrauen (schutzwürdiges Interesse).

Das Zusammenspiel der Eckwerte und der Grössenordnung ermöglicht es dem Auftraggeber jedoch, im Hinblick auf einen Vorausverzicht sowohl die bei der Bank oder dem Vermögensverwalter aufgrund der konkreten Anreizstrukturen vorhandenen Interessenskonflikte zu erkennen als auch die Gesamtkosten der Vermögensverwaltung zu erfassen.

 

Fazit

Obwohl die oben beschriebenen drei Kriterien bereits mehrfach vom Bundesgericht bestätigt wurden und nur deren kumulative Anwendung einen Vorausverzicht bei Vermögensverwaltungsmandaten ermöglichen, zeigen unsere Erfahrungen mit diversen Banken und Vermögensverwaltern, dass diese die vom Bundesgericht festgesetzten Kriterien nicht umsetzen bzw. nicht umsetzen wollen. Liti-Link ist bis heute keine Bank und/oder Vermögensverwalter bekannt, welche ihre Vermögensverwaltungskunden entsprechend den drei Kriterien aufklärt. Es gibt selbstverständlich Ausnahmen, hier haben die Finanzinstitute aber im Sinne der Transparenz beschlossen, die vereinnahmten Retrozessionen zu 100% den Kunden weiterzuleiten.

 

Verzicht im Nachhinein

Ein nachträglicher Verzicht setzt gem. herrschender Lehrmeinung höhere Anforderungen an den Genauigkeitsgrad von bereits erhaltenen Retrozessionen voraus, als dies beim Vorausverzicht gefordert wird. So fordert ein Teil der Lehre eine detaillierte Offenlegung der erhaltenen Rückvergütungen, während ein anderer Teil der Lehre sich für eine ansatzweise Offenlegung ausspricht. 

Während beim Vorausverzicht die Angabe der Eckwerte der bestehenden Retrozessionsvereinbarungen mit Dritten und die Grössenordnung der zu erwartenden Retrozessionen in einer Prozentbandbreite des verwalteten Vermögens genügt, kann schlussfolgernd aufgrund der höheren Anforderungen an einen nachträglichen Verzicht die Offenlegung der von der Bankenwelt selbst ins Leben gerufenen Produktbandbreiten nicht ausreichen, um rechtsgültig rückwirkend auf die Ablieferung der bereits erhaltenen Retrozessionen zu verzichten. Zumal zu diesem Zeitpunkt eine detaillierte Offenlegung jedenfalls bewerkstelligt werden kann.

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